Beitrag von Luca Magni, Student MA Schulmusik I

Neue Medien im Musikunterricht waren für lange Zeit ein heisses Diskussionsthema. Bis zu dem Moment, in dem man sie nicht mehr als “neu” bezeichnen konnte.

Die Revolution für die Musikindustrie kam mit der Einführung des Tonbandgerätes 1945. Mit diesem konnte der aufgenommene Ton gestaltet werden. Endlich konnte man mit den eigenen Händen Operationen wie “Cut, Copy, Paste” durchführen. Aber das war 1945, ist also eine Weile her. Was passiert heutzutage in der Schule?

Der Modullehrplan “Medien und Informatik” ist ein Teil des Lehrplans 21 und fördert das Lernen technologischer Systeme. Im Rahmen des Programms erhalten die Schüler*innen ein persönliches Gerät (häufig ein Tablet, manchmal einen Laptop) mit dem Ziel, Aktivitäten zu planen, die für alle Schüler*innen auf dem Gerät umsetzbar sind.

Der Musikkonsum hat sich mit der Entwicklung der Technologie geändert. Musik hören ist heute sogar von jeglicher tragbarer Substanz losgelöst, man benötigt nur eine Internetverbindung, um fast alle aufgezeichnete Musik zu erreichen. Die Musik wird aus digitalen Medien nicht nur reproduziert, sondern auch produziert. Die Musikproduktionsmittel sind heute zugänglich wie nie zuvor. Digitale Medien haben nicht nur Zugang zu den fertigen Produkten erleichtert, sondern auch einen neuen Zugang zur Musikproduktion geschaffen.

Man produziert Software und Hardware mit benutzerfreundlicher Umgebung. Solche Softwares bieten jeder Person einen Zugang zu einer aktiven Rolle ohne Vorwissen zu benötigen. Dass heisst, die Grenzen zwischen passivem Zuhören und aktivem Mitgestalten der Musik sind durch Digitalisierung sehr dünn geworden.

In einem kleinen Tablet steckt eine grosse Leistung, ein normales iPad 2019 leistet mehr Kraft als ein Mac Pro aus dem Jahr 2012! Seit einigen Jahren haben die Hardwareproduzenten neue Produkte entwickelt, die für Tablets und Computer gleichzeitig geeignet sind. Aber was braucht man wirklich, um ein Tablet im Musikunterricht zu benutzen? Eigentlich sind nur Kabelkopfhörer nowendig. Die teuren Bluetoothgeräte sind praktisch unbrauchbar wegen der hohen Latenz (Verzögerung). Die neusten Apple Air Pods haben eine Latenz von 144 ms, fast ein sechzehntel zu spät mit 100 bpm!

Viele Tablets besitzen ein internes Mikrofon, welches für einfache Aufnahmen geeignet ist. Viele MIDI-Instrumente kann man mit dem Touch-Bildschirm spielen. Externe Geräte braucht man nur für Multitrack-Aufnahmen und MIDI-Kontroller Eingänge. Ein kleiner Tipp: MIDI-Kontroller für Tablets sind normalerweiser etwas teuer. Falls ihr einen alten MIDI-Kontroller habt, kann man ein einfaches MIDI-IN/OUT Modul kaufen und die Verbindung zum Tablet erfolgt problemlos (Beispiel iRig MIDI 2).

Die Leistung eines iPads erleichtert auch Profis die Arbeit, Damon Albarn zum Beispiel. Der Sänger der Gorillaz bestätigte in verschiedenen Interviews, dass er 2010 das Album “The Fall” komplett mit dem iPad produzierte. Diese Tatsache beweist zwar noch nicht die Leistung solcher Tablets im pädagogischen Bereich, aber zeigt auf wieviel Potenzial, trotz des kompakten Formats, besteht.

Was muss ich als Lehrperson wissen? Neben den Nutzungsbedingungen von Software und Hardware erhält man eine vertiefte Perspektive, wenn man die Grundlage der “Art de Bruit” kennt. “Art de Bruit”, Musique Concrete oder Acousmatische Musik sind Begriffe, die die neue Form der Musik in den 50ern geschaffen hat. Meine Referenz in diesem dichten historischen Moment ist Pierre Schaeffer. Er hat in einem sehr interessanten Buch beschrieben (Solfege de l‘objet Sonore. 1966), wie die Aufnahme die Natur der Quelle verändert und wie man diese als neues klangliches Objekt betrachten könnte.

Solche Begriffe müssen den Schüler*innen nicht 1:1 vermittelt werden.

Es gibt verschiedenen Formen, in denen sie ihre eigene Erfahrung ohne Vorwissen kreieren können.

Neue Medien erlauben es, Klänge aus den akustischen Körpern loszulösen. Man kann dadurch neue Gestalten zu den Klängen assoziieren und diese in einer neuen Umgebung verfügbar machen. Solche Umgebungen erlauben Erfahrungen mit den Klängen ohne spezifisches instrumentalisches Vorwissen zu benötigen.

Viele von solchen Umgebungen sind heute als App oder Online Software zur Verfügung: Hier im Bild das App Bloom von Produzent Brian Eno.

Die Produktionsmittel der Musik sind leicht erreichbar. Aber die Software und die Instrumente benötigen ein gewisses Vorwissen. Dieses Setup, wenn auch in einer einfachen Form, bietet den Zugang zu Erfahrungen, die sehr nah an einer echten Audioproduktion sind. Die Schüler*innen müssen aber lernen, wie man überhaupt etwas aufnimmt, wie man es editieren kann (cut, copy, verschieben, etc.), wie man mit Midi-Instrumenten arbeitet und ein Studio-Setup steuern kann.

Neue Medien im Unterricht tauchen oft mit dem Begriff “Handlungsorientiert” auf. Wie bringt man ein iPad in die Klasse, welches pädagogische Potential hat das Ding, wie kann ich das Gerät verstehen um gute Aktivitäten damit zu planen? Für solche Fragen habe ich ein paar Bücher recherchiert, die ich empfehlen möchte.

Auerswald, 2000((Auerswald, Stefan (2000): Der Computer im handlungsorientierten Musikunterricht. Didaktischer Stellenwert und methodische Konzeptionen. Augsburg: Wissner)). Es bietet eine sehr gute Analyse vom Computer Einsatz im Unterricht. Am Schluss gibt es einen Bericht über eine Untersuchung mit Lehrer*innen.
Höfer, 2016 ((Höfer, Fritz (2016): Digitale Medien im Musikunterricht der Sekundarstufe. Eine empirische Studie an österreichischen Schulen. Augsburg: Wissner)). Das Buch bietet einen spannenden Überblick über die Literatur des Themas: Medien im Musikunterricht. Am Ende gibt es eine Studie über die Strategien der Dozierenden.

Auch wenn man sich einen guten theoretischen Hintergrund aufbaut, es braucht viel Zeit, um eine gute Umsetzung von neuen Medien im Unterricht zu schaffen. Darum habe ich nach vorgefertigten Aktivitäten, die man direkt in die Klasse bringen könnte, gesucht. Hier zwei Beispiele, eines aus einem aktuelleren Buch (Watson, 2011) und eines aus den Frühzeiten der elektroakustischen Mitteln (es basiert auf Taperecorders, aber es bleibt für mich sehr inspirierend!).

Watson, 2011 ((Watson, Scott (2011): Using Technology to Unlock Musical Creativity.
Oxford University Press)) (nur Englisch verfügbar).
Das Buch ist für mich die beste Kombination zwischen Theorie und Praxis zu diesem Thema. Besonders gut sind die Lektionen am Ende: Ready to be used in the class!
Orton, 1981 ((Orton, Richard (1981): Electronic Music for Schools. Cambridge University Press)) (nur Englisch verfügbar).
Das Bild zeigt schon mit welchen Medien gearbeitet wird. Trotz seines Alters bietet das Buch wundervolle Aktivitäten, die auf einem Tablet umsetzbar sind und eine sehr gute Beschreibung von elektroakustischen Mitteln (Mikrofone, Mischpult, Tonband, etc.).  

Gute Beispiele für neue Medien im Musikunterricht kommen auch von unseren ehemaligen Studienkolleg*innen! Diese drei Arbeiten sind im Medien- und Informationszentrum der ZHdK und im Intranet unter den Jahrgängen 2017 und 2018 (für ZHdK-Angehörige) einsehbar.