Wie sieht dein musikalischer Werdegang aus?
Ich bin ursprünglich Kirchenmusiker. Ich habe hier in Zürich Orgel studiert und bis vor 4 Jahren hatte ich eine feste Stelle in Zürich-Unterstrass. Daneben habe ich Konzerte gespielt und eine Konzertreihe organisiert, in der fast die halbe Zürcher Musikszene mit der Zeit einmal vorbeigekommen ist. Neben dem Orgelspiel habe ich als Musikjournalist gearbeitet. Als klassischer Musikkritiker während 15 Jahren hauptsächlich für den Tagesanzeiger, und als Publizist für zahlreiche andere Medien, unter anderem war ich drei Jahre Redaktor der Zeitschrift „Dissonance“. Die musikalische und die publizistische Tätigkeiten liefen parallel, bis dann 2007 meine Arbeit hier an der ZHdK begann.
Welche Aufgaben hast du als Departementsleiter an der ZHdK?
Die Departementsleitung verantwortet und führt die strategischen, finanziellen und personellen Bereiche. Das erreicht man natürlich nicht im Alleingang, sondern über diverse Delegationsstufen mit den Leuten an den entscheidenden Stellen, wo dann die tatsächliche Sache geschieht – sehr kurz gesagt.
Zusätzlich bin ich Mitglied der Hochschulleitung, d.h. meine Anstellung ist genau genommen 50/50. Ich bin zu 50% Hochschulleitungsmitglied und zu 50% Departementsleiter. In der Realität stimmt dies nicht ganz, da das Departement viel mehr Arbeit ist. Die Idee dahinter ist aber, dass die Departementsleiter für die Gesamthochschulentwicklung mitverantwortlich sind.
Zu den Aufgaben als Departementsleiter gehört auch eine gewisse Aussenministerfunktion, also ein Vernetzen mit der Kultur- und Musiklandschaft sowohl lokal als auch international, wobei wir für die internationalen Beziehungen auf Hochschulstufe ein Dossier haben und im Departement Ranko Markovic speziell beauftragt haben.
Weiter gehört dazu, viele Leute zu treffen, in Gremien mitzuarbeiten, auch in diversen externen Stiftungen, in denen man quasi von Amtes wegen ist. Dort geht es dann unter anderem darum, Geld für die Studierenden und für Projekte zu akquirieren.
Bist du viel im Ausland?
Es geht so. Ich bin nicht der, der ständig am Flughafen ist. Am häufigsten bin ich im deutschsprachigen Raum, wo sich ein guter Austausch zwischen den Musikschulen der Schweiz, Deutschland und Österreich etabliert hat.
Warum bist du dazumal Departementsleiter geworden? Was hat dich dazu bewogen?
Das ist eine gute Frage. Die Stelle war ja damals ausgeschrieben und ich hatte mich nicht beworben, im Gegenteil: ich hatte eine andere Stelle im Auge, die ich dann aber nicht bekommen habe.
Weil es für die Stelle des Departementsleiters eine zweite Runde brauchte, hat man entschieden, direkt mögliche Kandidaten anzusprechen. Ich wurde gleich von zwei Seiten angefragt, und fand zunächst das kann ich nicht machen, mich an der gleichen Institution für zwei komplett unterschiedliche Stellen bewerben, das sieht doch ziemlich ratlos aus. Aber es hiess dann nur: Doch, doch, mach mal. Ja, und dann bin ich halt am Ende übriggeblieben.
Dass die Stellenbesetzung nicht ganz leicht war, ist vielleicht typisch für den Job, der sich stark verändert hat im Vergleich zu den Zeiten meiner Vorgänger. Daniel Fueter war Rektor der gesamten HMT, und sein Vorgänger Hans Ulrich Lehmann war noch der klassische Konsidirektor. Heute sind die Leitungs-, Führungs-, Verwaltungs- und Administrationsarbeiten ganz anders geworden. Das hat mich damals interessiert, und ich finde es bis heute wahnsinnig spannend. Nicht nur die alltägliche Arbeit mit den verschiedenen Leuten, sondern auch die Mitverantwortung für das Musikleben in der Zukunft – und dies in der ganzen Vielfalt, die wir im Departement haben mit Klassik, Jazz, Pop, Komposition, Schulmusik, Kirchenmusik, Tonmeisterei usw.
Als Departementsleiter ist es vielleicht schwieriger, die Ergebnisse zu sehen. Als Organist gibt man ein Konzert und ist unmittelbar verantwortlich für das gute oder schlechte Resultat. In meiner Position ist das Resultat schwerer einschätzbar. Die schönsten Momente sind eigentlich diejenigen, in denen man sich mal zurücklehnen kann und zusehen, wie der riesige Betrieb läuft und dabei weiss, dass man auch einen Teil dazu beigetragen hat.
Du bist seit 10 Jahren in dieser Position. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Was wir alles gemacht haben in diesen 10 Jahren…! Ich habe im April 2007 angefangen und im August 2007 wurde die Fusion der ZHdK vollzogen. Das war natürlich alles schon vorbereitet, aber trotzdem mussten wir es realisieren und zum Leben bringen. Das war und ist ein Prozess, der bis heute andauert. Dann haben wir die Bologna-Studiengänge eingeführt, und wir haben ein spektakuläres neues Gebäude geplant und bezogen. Und das sind nur die grössten Projekte. Daneben entwickeln sich Lehre und Forschung kontinuierlich mit hoher Innovationslust weiter. Ich würde meinen, in diesen letzten 10 Jahren hat sich mehr verändert, was den Musikhochschulstandort Zürich angeht, als in den 100 Jahren davor.
Welche Zukunftsvisionen hast du für das DMU und die ZHdK?
Die Diversität der Studienangebote wird noch grösser werden. Es wird mehr Spezialisierungen geben, aber auch mehr Vernetzungen. Interdisziplinäre und internationale Kooperationen werden zunehmen. Die Musikwelt wird vielfältiger, es gibt weniger traditionelle Standards, wir werden individuelle Bedürfnisse noch besser berücksichtigen müssen und auch neue Angebote schaffen wie z.B. Sound Design, das wir nächsten Herbst starten.
Die technologische Entwicklung wird eine grosse Rolle spielen. Die Digitalisierung wird die Produktions- und Distributionsbedingungen, aber auch Ästhetik und Kreativität entscheidend verändern. All dies wird neue Studierende anziehen. Diesen muss man in allem Freiheit, Flexibilität und Möglichkeiten eröffnen.
Welche Rolle und welche Aufgaben siehst du in der Abteilung Schulmusik, einerseits für die Hochschule, andererseits für die Gesellschaft?
Musik gehört zu den wichtigsten Schulfächern, gehört zur wesentlichen Allgemeinbildung und ist weit mehr als ein Freizeitvergnügen. Natürlich findet jede Lehrperson, ihr Fach sei am wichtigsten. Aber die Musik kann wirklich Existenzen prägen, sowohl in der schulischen als auch später in der erwachsenen Entwicklung. Nicht nur für künftige Profimusiker, das werden die allerwenigsten. Aber wer guten Musikunterricht geniessen konnte, zehrt ein Leben lang davon.
Man darf auf keinen Fall den Wert musikalischer Bildung für die Gesellschaft unterschätzen. Ich versuche es so zu sagen: Musik ist heute überall, sie ist gratis im Netz, sie läuft überall, man ist von Musik umgeben, ob man will oder nicht. Die Musik beeinflusst und prägt uns auf einer emotionalen Ebene, deswegen machen wir sie ja auch – und darum muss die Musik gut sein! Es gibt eine Verantwortung, dass wir mit dieser Musik, die einen umgibt, autonom, informiert, gebildet und auf Erfahrungen basierend umgehen können, uns ihr nicht einfach ausliefern müssen.
Es ist ein Phänomen, das man in allen Gesellschaften beobachten kann: Ein hohes kulturelles Leben mit einem spezifischen musikalischen Bewusstsein tut einer Gesellschaft gut. Und die Wurzeln dafür sind natürlich in der Schule zu legen.
Dass die Schulmusiker einen guten Job machen und nachhaltig wirken, ist darum entscheidend. Die Schulmusikabteilung an der ZHdK ist klein, aber wichtig. Wir haben uns immer wieder dafür eingesetzt, dass dieser Studiengang als Ausbildung mit hohem praktischem Können verstanden wird und darum eben an einer Musikhochschule angeboten werden muss.
Welche Verbindungen hast du persönlich zur Schulmusik?
Ich bin der Sohn eines Schulmusikers und bin selbst durch den Musikunterricht an der Schule sehr geprägt worden. Ich habe beobachtet, dass Schulmusiker sehr unterschiedliche Typen und Charaktere sind. Sie prägen ihr Fach vielleicht stärker durch ihre Persönlichkeit als dies andere Lehrpersonen tun. Dazu gehört auch, dass sie begabte und interessierte Schüler fördern und darauf hinweisen, dass man aus der Musik zum Beruf machen kann.
Gerade als Organist habe ich das erlebt: Es braucht die Lehrer, die einen guten Klavierschüler mal in die Kirche mitnehmen und ihnen die Orgel zeigen, ohne dass man deswegen gleich fromm werden muss. Der Rückgang an Orgel-Studierenden hat wohl auch damit zu tun, dass es diese Allrounder unter den Mittelschullehrern seltener gibt.
Was macht eine gute Lehrperson für dich aus?
Man redet immer viel über didaktische Konzepte und Kenntnisse, und am Schluss stellt man fest: es geht halt um die Persönlichkeit des Einzelnen. Das ist etwas ernüchternd, aber wahrscheinlich bleibt es dabei.
Eine gute Lehrperson braucht gute persönliche Erfahrung, Können, Wissen, Handwerk, Fantasie, Ernsthaftigkeit und Ehrgeiz. Dazu ist zweitens die intrinsische Motivation, sich auf die Ausbildung junger Menschen einlassen zu wollen, entscheidend. Das gilt auch für die Hochschullehre. Man wird hier ja nicht Professor, nur weil man ein superberühmter Künstler ist, sondern man ist für die Ausbildung junger Menschen verantwortlich.
Als Drittes braucht es eine Bereitschaft, sich mit der Hochschule und ihren Strukturen auseinanderzusetzen. Man sollte über die eigene Klasse hinaus einen Blick auf die Gesamtentwicklung haben und dort seinen Platz finden.
Und der Rest ist Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft für das Fach, für die Musik und für das Pädagogische. Wenn das zusammenkommt, dann explodiert es. Solche Personen bilden über Generationen hinweg neue Leute aus, und diese haben wiederum Schüler, die ihrerseits wieder unterrichten usw., das ist wie eine Schneeballlawine. Das kann gewaltig sein.
Was sind deiner Meinung nach grosse Herausforderungen, die in den nächsten 10 Jahren auf SchulmusikerInnen zukommen?
Es wird nicht ganz einfach sein, die Position der Schulmusik zu verteidigen. In der Mittelschule nehme ich das nicht so kritisch wahr wie in der Primarschule, wo die Musik an den Rand gedrängt zu werden droht. Das ist eine alte Diskussion, denn wir hätten die Fachkräfte, aber die geraten in Konflikt mit der Anstellungspolitik der Schulen. Der neue Lehrplan 21 legt ziemlich hohe musikalische Kompetenzen für die Kinder fest. Wenn dann nicht mal die Lehrpersonen über diese Kompetenzen verfügen, droht eine weitere Marginalisierung des Fachs.
Wenn man die Anzahl Studenten und Studentinnen an der ZHdK anschaut, dann ist das Geschlechterverhältnis etwa ausgeglichen. Wenn man jedoch die Zusammensetzung der Departementskonferenz betrachtet, dann stellt man fest, dass die Frauen deutlich in der Unterzahl sind verglichen mit den Männern. Siehst du da Handlungsbedarf?
Ja natürlich, das haben wir auf allen Stufen festgestellt. In der Departementskonferenz sind im Moment 12 Männer und 5 Frauen, unter den Profilleitungen sind zwei von sieben durch Frauen besetzt. Unter den Departementsleitenden gibt es eine Frau. Der Ausgleich ist nun mal ein langsamer Prozess. Man muss warten, bis die nächste Stelle frei ist, dann kann man versuchen es zu steuern. Aber auch dann kann man nicht garantieren, dass es gelingt.
Bedenklicher finde ich die Situation bei den Dozenten. Ich weiss die genauen Zahlen nicht auswendig, aber es sind bei weitem mehr Männer als Frauen. Hier ist es natürlich bei jeder Stellenbesetzung ein Thema. Man soll sich zwar nicht rausreden, aber es kommt halt vor, dass sich auf eine Stelle nur wenige oder gar keine Frauen bewerben.
Früher warst du als Journalist und Organist tätig. Gehst du etwas davon heute noch nach?
Im Wortsinn nicht – ich spiele noch Orgel, ich kann noch spielen, ich hab’s nicht verlernt. Aber ich habe keine Stelle mehr, und die Gelegenheiten sind selten geworden. Auch die Zeit zum Üben ist schon lange kritisch geworden. Das ist schade. Ich geniesse es jedes Mal, wenn ich einmal wieder einen Nachmittag an der Orgel verbringe.
Auch das journalistische Schreiben findet nur noch einen ganz kleinen Ort. Aber zumindest habe ich das Schreibhandwerk in all den Jahren und den Tausenden von Texten gelernt. Das kommt mir gelegentlich auch in anderem Zusammenhang zugute.
Das Interview mit Michael Eidenbenz führte Alexandra Blatter, Studentin MA Schulmusik II.
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