Evi Barmet studierte an der ZHdK MA Elementare Musikpädagogik und arbeitet als Primar- und Musiklehrerin. Von Januar bis März 2020 unterrichtete sie in einem Schulprojekt in Äthiopien.
Auf keinen Fall sollte man das Gefühl haben, die Welt zu verbessern. Es ist viel mehr eine Weiterbildung für einen selbst … Für mich habe ich ganz viel von meinen Auslandsaufenthalten profitiert, sei es nun für meine Persönlichkeit oder auch mein Wirken als Pädagogin.
Evi Barmet
Sabine Dani: Erzähle uns von dem Projekt in Gidole. Wie lange warst du dort?
Evi Barmet: Ich war für 3 Monate in Äthiopien und habe 2 Monate davon im Schulprojekt “Berhan Learning Center” in Gidole verbracht. Mit dem Ziel, wohlhabendere und einflussreiche Familien in der Kleinstadt zu behalten, wurde diese Privatschule von Einwohner*innen in Gidole gegründet. Aktuell gibt es 5 Abteilungen in der Schule (Spielgruppe, Kindergarten 1-3 und 1. Klasse). Rund 200 Kinder im Alter von 4-8 Jahren sind an der Schule angemeldet und besuchen täglich den Unterricht.
Die Schule unterscheidet sich von der Staatlichen Schule vor allem durch folgende Punkte:
- Die Schule wird von einem Schoolboard geleitet, welches aus Einwohner*innen von Gidole besteht. Es gibt einen detaillierten Masterplan und auch Richtlinien, welche das Board zu erfüllen hat.
- Es ist eine Tagesschule, die Kinder werden also ganztags betreut. Dies hat den Vorteil, dass die Eltern, welche meist berufstätig sind, so ein gutes Betreuungsangebot für ihre Kinder haben. Die Eltern bezahlen ein Schulgeld von ca. 5 Franken pro Monat.
- Die Klassengrösse von 30-40 Kindern ermöglicht eine aktivere Beteiligung am Unterricht und somit eine bessere Ausbildung für die Kinder.
- Das Schulareal ist grossräumig, sicher und schön gestaltet. Die Schule verfügt über ein Pädagogikcenter, wo die Kinder neben Frontalunterricht auch in den Genuss von spielerischem Lernen kommen. Es gibt Spielsachen, Puzzles und eine kleine Bibliothek.
Meine Aufgaben bestanden vor allem darin, die Lehrpersonen zu begleiten und zu prüfen, ob die Schule das Potenzial für eine längerfristige Zusammenarbeit hat. Das Projekt wird vom Verein “Deventure” aus der Schweiz nun offiziell unterstützt. Durch finanzielle Unterstützung soll die Schule weiter ausgebaut werden, damit die Kinder bis zur 6. Klasse im Berhan Learning Center ausgebildet werden können. Ausserdem werden nützliche Ressourcen wie Schulbücher und neue Schulbänke angeschafft. Die Lehrpersonen sollen die Möglichkeit haben, jedes Jahr eine Weiterbildung zu besuchen und von zukünftigen Volunteers profitieren.
Support für Gidole (Crowdify)
Meine Arbeit sah folgendermassen aus: Während des Unterrichts habe ich die Lehrpersonen im Unterricht nach Möglichkeiten unterstützt. Ein Grossteil des Unterrichts findet in Amharisch statt, daher ist es nicht immer einfach. Ich konnte aber zum Beispiel Kinder, welche ihre Arbeit erledigt haben, mit Spielen beschäftigen und vor allem auch im Englischunterricht mithelfen. In den Pausen habe ich mit den Kindern gespielt, gesungen und getanzt. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen; die Lehrpersonen haben mir ihre Spiele, Lieder und Tänze beigebracht und waren sehr offen für meine Ideen. Nach der Schule haben wir ca. 1 Stunde dafür investiert, den Tag zu reflektieren, Probleme im Unterricht besprochen und neue Lernmethoden eingeführt und ausprobiert. Die Lehrpersonen haben sich eifrig an diesem Austausch beteiligt und konnten ihren Unterricht so bereichern.
Ein grosser Wunsch der Lehrpersonen und des Schoolboards wäre es, auch in Zukunft von der Arbeit mit Volunteers zu profitieren. Sie sind sehr offen und freuen sich auf neue Ideen. Ich finde es wichtig, dass so einem Volunteer-Einsatz ein konkretes Ziel verfolgt, welches auch vorgängig mit dem Schoolboard besprochen wird (z.B. weitere Unterstützung in Methodik und Didaktik, Englischtraining für Kinder und Lehrpersonen, Kulturaustausch Lieder-Tanz, Aufrüstung der Informatik-Infrastruktur…). So kann sich das Schulprojekt auch nachhaltig entwickeln und wird nicht mit Volunteers überflutet, die einfach nur ein bisschen “schnuppern” wollen, wie es so in afrikanischen Schulen läuft. Dies ist auch ein Wunsch des Vereins “Deventure”.
Informationen zur Schule Gidole auf Facebook
Vor 2 Jahren warst du in Namibia und hast dort bei einem Projekt im Art Performance Center in Tsumeb mitgearbeitet. Bitte berichte uns von diesem Projekt.
Welchen Ratschlag hast du für Studierende der ZHdK, die bei einem ähnlichen Projekt mitarbeiten möchten? Worauf sollten sie bei der Auswahl achten?
Im Jahr 2017 war ich für 2 Monate in Namibia und habe dort das Art Performance Center in Tsumeb besucht. Es ist eine Musikschule, welche von der Schweizerin Lis Hidber ins Leben gerufen wurde. Vor fast 30 Jahren hat sie das erste Arts Performance Center in Oshikuku, im Norden Namibias, mitbegründet. Im Laufe der Jahre ist etwas Grossartiges gewachsen, bis heute besuchen weit über 100 junge Menschen aus vorwiegend armen und ärmsten Kreisen diese Bildungsstätte. Sie lernen einerseits das Spielen diverser Musikinstrumente, andererseits aber auch die elementarsten Dinge für das tägliche Leben, damit sie eine Existenzgrundlage für die Zukunft haben.
Das APC gilt in Namibia als mustergültiges Entwicklungsprojekt, welches mittlerweile von der Regierung offiziell anerkannt und unterstützt wird. So hat der Stadtpräsident von Tsumeb, einer alten Minenstadt nahe des weltberühmten Tierparkes Etosha, ein grosses Stück Land zur Verfügung gestellt mit der Bitte, ein weiteres Arts Performance Center für Strassenkinder zu erstellen. Dieses Projekt habe ich besucht und ist meines Wissens auch das Hauptprojekt geworden.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass dort, wo Jugendliche zusammen musizieren, die Stammeskämpfe, Alkoholmissbrauch und dessen Folgen verschwinden. Ihr Gefühl, endlich jemand zu sein, und ihre Sensibilität werden stark und die künstlerische Kreativität scheint keine Grenzen mehr zu kennen – dies das Hauptanliegen von Lis Hidber.
Das APC Namibia ist eine Non-Profit Organisation unter Schweizer Leitung und leistet seit Jahren auf eindrückliche Art und Weise Hilfe vor Ort für die Ärmsten der Armen. Leider ist der Vikar Hans Leu, welcher auch seit vielen Jahren in Namibia lebte und das Projekt stets grosszügig unterstützte im letzten Jahr verstorben. Somit ist auch mein Kontakt nach Namibia etwas abgebrochen. Ich könnte aber sicher Lis Hidber wieder kontaktieren, um aktuelle Infos zu erhalten.
Ich habe in Tsumeb mitgeholfen, die Musikalische Grundschulklasse aufzubauen. Auch da war die Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen elementar und hat grosse Freude gemacht. Die Lehrpersonen können viel besser Englisch und es war deutlich einfacher, sich auszutauschen und zu unterhalten. Zusätzlich habe ich ein kleines Chorprojekt gestartet, Klavierunterricht erteilt und viel mit den Lehrpersonen gesungen.
Das APC ist eine wunderbare Möglichkeit, eine neue Kultur kennenzulernen und sich selber aktiv miteinzubringen. Jede Art von Musikunterricht wird von den Lehrer*innen geschätzt, sei es Theorie oder auch direkt auf dem Instrumet. Sie verfügen über eine super Infrastruktur, haben diverse Instrumente und auch Musiknoten auf Lager. Ausserdem gibt es eine Tanzklasse und ein Kunstatelier.
Informationen zum Art Perfomance Center auf Facebook
Ratschläge an Studierende:
Eine Reise nach Afrika und in ein solches Projekt setzt eine grosse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit voraus. Vieles ist ungewohnt und einfach anders, als man es kennt. Mit solch neuen Situationen muss man umgehen können und man sollte auch fähig sein, sich den Traditionen und der Kultur eines Landes ein Stück weit unterzuordnen. Es ist sehr wichtig, zuerst einmal das Geschehen vor Ort mitzuverfolgen und sich nicht kritisch dazu zu äussern. Danach kann man Schritt für Schritt eigene Ideen und Erfahrungen einbringen. Auf keinen Fall sollte man das Gefühl haben, die Welt zu verbessern. Es ist viel mehr eine Weiterbildung für einen selbst und natürlich profitieren auch die Leute vor Ort ganz viel. Man darf aber nicht damit rechnen, sofort grosse Resultate zu sehen und sollte sich auch an kleinen positiven Veränderungen erfreuen und man sollte immer auch die Augen offen haben und schätzen, was ist. Oft wünsche ich mir ein Stück afrikanische Gelassenheit, Würde und Wertschätzung zurück in unser europäisches Schulsystem. Für mich habe ich ganz viel von meinen Auslandsaufenthalten profitiert, sei es nun für meine Persönlichkeit oder auch mein Wirken als Pädagogin. Ich habe einen grossen Schatz an Liedern und Tänzen gesammelt, wovon ich immer wieder im Alltag zehre.
In deiner Masterarbeit, die du 2015 abgegeben hast, hast du dich intensiv mit dem traditionellen Schweizer Kinderlied auseinandergesetzt.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennst du bei den Kinderliedern aus der Schweiz und Äthiopien bzw. Namibia?
In beiden Ländern gibt es nicht wirklich eine “Kinderlieder-Kultur”. Die Kindheit hat einen anderen Stellenwert und es gibt keine Liedermacher, welche sich explizit für das Kind interessieren. Oft werden Lieder aus der Kirche gesungen oder einfach das, was tagtäglich auf der Strasse gespielt wird. In beiden Ländern wurden viele Lernlieder gesungen, um das Englischvokabular aufzubessern. In Äthiopien waren solche Lieder oft gemischt mit Amharischem Text – so dass die Kinder direkt beide Sprachen lernen konnten. Amharisch ist zwar Amtssprache in Äthiopien, die meisten Leute haben aber eine andere Muttersprache.
Was kannst du uns über EMP in Äthiopien und Namibia erzählen?
EMP in Namibia gibt es tatsächlich. Im APC lernen die Kinder zwischen 4-6 Jahren spielerisch die verschiedenen Felder der Elementaren Musikpädagogik kennen. Sie singen, tanzen, haben eine einfache Art des Klassenmusizierens und werden mit Inhalten der Musiktheorie vertraut gemacht. Danach dürfen die Kinder ein (oder manchmal auch zwei) Instrument auswählen, auf welchem sie dann unterrichtet werden. Die Lehrpersonen im APC sind übrigens alle selber so ausgebildet worden, waren also als Kinder Schüler*innen des APC. Am Morgen, wenn die Kinder zur Schule gehen, treffen sich die Lehrpersonen, um gemeinsam zu musizieren. Manchmal unterrichten sie dabei auch einander auf ihrem Instrument und erweitern so ihre Fähigkeiten. Und Unterstützung aus dem Ausland ist da natürlich herzlich willkommen!
Da Namibia lange eine deutsche Kolonie war und sich immer noch stark an den westlichen Kulturen orientiert, ist es sehr schwierig, die traditionelle Kultur zu entdecken. Ich hatte leider nur ganz selten die Möglichkeit, traditionelle Musik zu hören. Auch die Lehrer*innen im APC sind nicht damit vertraut.
In Äthiopien hat die Musik in der Schulbildung eher einen niedrigen Stellenwert. Musik und Tanz sind allgegenwärtig im Alltag – auf den Strassen, in der Kirche, bei Festen… So kommen die Kinder schon sehr früh in Kontakt mit ihrer Kultur und lernen Tänze und Lieder ganz automatisch. Das Instrumentalspiel wird dann eher innerhalb der Familie weitergegeben, ist also eine Art “Familientradition”. Die Instrumente werden oft auch direkt von den Musiker*innen selber hergestellt. Die äthiopische Musik ist sehr traditionell, westliche Einflüsse gibt es kaum.
Hast du eine Festanstellung als Musiklehrerin oder arbeitest du hauptsächlich frei?
Ich habe nun nach einem Jahr Pause (in dem ich neben diversen Stellvertretungen meine Äthiopien-Reise unternommen habe) wieder eine Festanstellung als Primar- und Musiklehrerin in Zofingen. Ich unterrichte von Montag bis Mittwoch an einer 3. Klasse als Klassenlehrerin und Donnerstag/Freitag erteile ich Musikunterricht auf der Mittelstufe (3.-6. Klasse). Zudem leite ich seit 12 Jahren den Kinder- und Jugendchor der Musikschule Region Schötz.
Inwieweit hat dich dein Studium an der ZHdK auf deine Arbeit vorbereitet?
Die Zeit an der ZHdK war für mich einfach wunderbar. Ich habe total viel gelernt und profitiert, tolle Leute kennengelernt und meine künstlerischen Fähigkeiten weiterentwickelt. Die Vielfältigkeit der Kurse und die Möglichkeit des aktiven Lernens haben mir ganz besonders gefallen. Ich habe einen grossen Rucksack an Ideen gesammelt und täglich kann ich meinen Unterricht und mein Schaffen als Musikpädagogin damit bereichern. Die Auslandsaufenthalte waren dazu dann wie eine Weiterbildung, das Kennenlernen neuer Kulturen schafft Verständnis für Menschen jeder Art.
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