Durch die Wahl meines individuellen Profils bekam ich als Schulmusikstudentin die Möglichkeit, zusammen mit den Studierenden des Profils Kirchenmusik mit den Schwerpunkten Orgel oder Chorleitung eine Studienreise nach London zu unternehmen. Ich durfte bei den Chorleitungsstudierenden dabei sein. Hier ist ein Rückblick der intensiven und sehr spannenden Woche:
Am Donnerstag Vormittag, den 6. September nahmen wir gemeinsam den Flug nach London. Dort angekommen hatten wir individuell die Möglichkeit, auf einer Sightseeing-Busfahrt die Stadt zu entdecken. Der gemeinsame abendliche Konzertbesuch in der berühmten und wunderbaren St. Paul’s Cathedral war bereits ein erster kultureller Höhepunkt. Der Organist Simon Johnson spielte die «Planets» von Gustav Holst, dazu wurden Bilder und Videoausschnitte der NASA gezeigt. Für die Orgelstudierenden war dies eine wunderbare Gelegenheit die Orgel der St. Paul’s Cathedral zu erleben.
Am Freitag durften wir bereits den ersten Dirigierworkshop mit dem Dozenten der Royal Academy of Music absolvieren. Der begnadete Chorleiter Patrick Russill legte in seiner ganztätigen Masterclass den Fokus vor allem auf die traditionelle englische Kirchenmusik und erarbeitete mit uns Werke von Tallis, Byrd, Purcell und anderen. Ebenfalls gab uns Mr. Russill einen historischen Überblick über die englischen Kirchenmusiktraditionen, der Bedeutung des Anglikanismus und dessen Einfluss auf die Kirchenmusik und deren Traditionen sowie über das Ausbildungssystem der Kirchenmusik. Nach diesem spannenden und intensiven Tag war es kein Wunder, dass einige meiner MitstreiterInnen während den BBC Proms in der Royal Albert Hall Händels «Theodora» passagenweise verschliefen. Trotz dessen Länge (Dauer über drei Stunden!) war das Oratorium ein absoluter Hochgenuss. Das Orchester Arcangelo spielte unter der Leitung von Jonathan Cohen, der den Basso Continuo übernahm. Die riesige Royal Albert Hall war ein akustisches Erlebnis, obwohl wir in der obersten Sitzreihe sassen konnten wir sogar die unverstärkte Laute klar und deutlich hören.
Der Samstag war einer meiner persönlichen kulturellen Höhepunkte der Studienreise. Wir fuhren mit dem Bus nach Cambridge und besuchten dort das King’s College. Die King’s College Chapel ist eine der schönsten Kirchen im anglikanischen Raum. Henry VI. liess sie als Gegenstück zur Chapel des Eton College im gotischen Stil erbauen. Mit ihrem Fächergewölbe und den zahlreichen und wunderschönen flämischen Glasmalereien ist die Chapel ein architektonisches Meisterwerk. Die grosse schwarzgoldene Orgel in der Mitte des Kirchenraumes liess die Augen der Orgelstudierenden glänzen, leider ergab sich jedoch nicht die Gelegenheit, die Orgel zu spielen.
Anschliessend fuhren wir nach St. Edmundsbury, wo wir eine Führung durch die örtliche Kathedrale bekamen. Dort wurde uns erklärt, wie der Nachwuchs für die Chorknaben ausgewählt wird. Die ChorleiterInnen gehen dabei in die Schulhäuser und lassen die Kinder in Gruppen Töne nachsingen. Kann ein Kind richtig intonieren, bekommen die Eltern eine schriftliche Einladung. Kann es nicht intonieren, wird es nicht ausgewählt. Dieses eher strenge Auswahlverfahren klingt für uns SchweizerInnen ungewohnt, versuchen wir doch in der Musikbildung grundsätzlich alle Kinder zu integrieren. Jedoch funktioniert das System in England bereits seit über 700 Jahren so und hat sicherlich auch seine Vorteile. Nach der Führung durch die Kathedrale wohnten wir einem Konzert des ortsansässigen Organisten Adrian Marple auf der dortigen Harrison & Harrison-Orgel bei.
King’s College Chapel:
Der Sonntag war – ganz entgegen der kirchlichen Vorstellung – kein Ruhetag. Wir besuchten den lateinischen Morgengottesdienst (missa solemnis) in der Oratorianerkirche Brompton Oratory in Knightsbridge, der einzigen römisch-katholischen Kirche welche wir auf unserer Studienreise besuchten. Am Nachmittag nahmen wir am gut besuchten und sehr schön gestalteten Evensong (auch: Evening Prayer) in der Westminster Abbey teil. Danach lernten wir in einem Workshop mit Ralph Allwood, dem ehemaligen Musikdirektor des Eton College, den Ablauf und musikalischen Inhalt eines Evensongs genauer kennen und übten uns im englischen Psalmodieren sowie in der kirchlich traditionellen englischen Chormusik.
Am Montag Vormittag besuchten wir erneut eine Masterclass, diesmal bei Graham Ross, dem Musikdirektor des Clare College in Cambridge. Über Mittag fuhren wir mit dem Zug nach Windsor & Eton. Dort studierte Tim Johnson, der Musikdirektor des Eton College, mit uns zeitgenössische englische Kirchenmusik ein, die wir anschliessend in der College Chapel singen durften. Die darauffolgende Führung durch Eton und durch das College war besonders interessant, war es doch ebendieses College in welchem Prince Harry seine Schulzeit absolvierte. Und ja es ist wirklich wahr: sowohl Schüler als auch Lehrer tragen dort täglich Frack und weisse Fliege!
Am Nachmittag spazierten wir nach Windsor und genossen den Evensong in der St. George’s Chapel. Die Priester dort waren besonders freundlich und erklärten mir eine geschlagene Viertelstunde lang, was es mit den Flaggen, Schwertern und Kronen über den Chorstühlen auf sich hat (sie zeigen alle aktuellen Königshäuser). Den Abend liessen wir in einem kleinen und gemütlichen Pub in Windsor ausklingen, bevor wir nach London zurückfuhren.
Am Dienstag Vormittag war dann endlich das obligatorische Shopping und noch mehr Sightseeing angesagt. Wir genossen in kleinen Gruppen die Stadt und deren Vielfalt. Am Nachmittag durften wir einer Probe mit dem Knaben- und Männerchor der Southwark Cathedral beiwohnen. Dies ist eine grosse Ausnahme, die der musikalische Leiter Peter Wright für uns gemacht hatte. Die englischen Chöre haben jeweils genau eine Stunde Zeit um alle Werke zu erlernen bevor der Service stattfindet. Wir wurden sehr herzlich empfangen und sogar in der Begrüssung des Evensongs erwähnt, welchen wir später besuchten. Die Probenarbeit und das anschliessend zu hörende Resultat im Evensong waren sehr spannend und aufschlussreich.
Anschliessend feierten wir nach einigen Strapazen durch einen fehlenden Organisten der Westminster Cathedral und einer nichtvorhandenen Reservation in einem Pub den gemeinsamen Abschluss unserer Reise in einem traditionellen britischen Pub mit Cider und Pie bevor sich unsere Wege trennten und wir am Mittwoch die Rückreise nach Zürich antraten.
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