Gastbeitrag von Leonie Bradatsch, Studentin Master Schulmusik I

Böse Zungen würden wahrscheinlich so weit gehen, mich als hoffnungslosen Fall abzustempeln. Ich bin unperfekt. Ich bin so unperfekt, dass mein Nagellack manchmal etwas abblättert oder gar einzelne Nägel ganz blank liegen. Ich bin so unperfekt, dass ich sogar Dinge vergesse, Dinge, die kein anderer auf der ganzen weiten Welt jemals vergessen würde. Meine Kleider haben oft lange und – wohlgemerkt- unbemerkt Löcher und ich laufe einfach so rum. Und ich habe Pickel! Irgendetwas an mir ist immer unperfekt. Und allmählich fange ich an, drauf zu… pardon. Es ist eine Farce, ja! Aber ich steh dazu.

Als ich die Kunstfigur „Loéfen” erschuf, hatte ich Spass. Ich fand es klasse, dass ich nicht auf meine Grenzen Rücksicht nehmen musste, weil es ja ein Alter-Ego war – und nichts mit mir zu tun hatte. Sie war perfekt. Sie hatte immer Stil und wusste immer, was sie wem wie sagt. Sie war geheimnisvoll und wild und sinnlich und umgeben von Eleganz. So wollte ich sein. So war ich vielleicht sogar ab und zu.

Aber es war oft anstrengend und lähmend. Es fing damit an, dass ich nicht mehr wusste, wann ich mal nicht in der Rolle sein durfte. Wenn ich anders auftrete auf der Bühne, mache ich Loéfen dann kaputt? Wenn ich mal ganz andere Kleider trage im Alltag, ist das dann schlechte Werbung für mich, für Loéfen? Wieviel Einfluss dürfen die restlichen Bandmitglieder haben, ohne dass Loéfen einen Kratzer abkriegt?

So ging das immer weiter. Ich wusste nicht, wie die Band auftreten sollte, wo wir auftreten sollten, wie ich die Band fair zahlen sollte, und so weiter. Mein Perfektionismus lähmte mich. Das Ende vom Lied: Loéfen ist seit etwas mehr als einem Jahr auf Eis gelegt.

Was als schier unbegrenzte Kreativität begann, wurde zu einem Käfig. Sämtliche Anregungen wurden von mir abgeblockt, denn: Loéfen musste perfekt sein.

Zeitgleich begann ich, auf Deutsch zu texten. Wieder stand ich mir im Weg. Sollte Loéfen jetzt auf einmal Deutsch singen? Ja, darf sie denn das? Und was, wenn ich vielleicht sogar mal auf Schweizerdeutsch singen wollte? Was würde ich dann tun?

Ich entschied mich für einen Neuanfang. Ich würde Lieder auf Deutsch machen, nur wusste ich noch nicht, unter welchem Namen. Im Fernsehen lief die Show „Ninja Warriors”. Ein Teilnehmer sagte zu seinem Mitstreiter, nachdem dieser etwas geschafft hatte, woran er selbst gescheitert war: „Du Rabauke!”

Ich war fasziniert von diesem Wort, welches ich schon fast vergessen hatte. Es blieb in meinem Kopf und irgendwann während irgendeiner Autofahrt, hatte ich es: Rabauke Müller.

Da war sie, die Unperfekte. Die Frau, die alles sein darf – und nicht immer immer immer perfekt sein muss. Die Diva von nebenan. Die, die im Schlafanzug den Müll runterbringt und eine Stunde später im Ballkleid auf dem Velo davonrauscht.

Mein Instagram-Profil besteht aus keinem einzigen perfekten Post. Natürlich wird mit der Zeit auch mal ein professionelles Foto dazukommen oder eines, auf dem ich geschminkt bin. Es wird ein Mix werden. Aber ich habe es mir selbst verordnet, nicht perfekt sein zu wollen. Das unperfekt sein ist meine Medizin. Kein einziges Lied, welches ich bisher unter dem Namen Rabauke Müller veröffentlicht habe, ist fertig. Ich habe Videos gepostet, in denen ich mich mit einer Ukulele begleite, im Jogginganzug, am Sonntag Morgen. Und ich werde es wieder tun. 

Rabauke Müller soll meine Ode an die Unperfektheit werden. Auch wenn ich mich immer wieder aufs neue daran erinnern muss.

Link Soundcloud Rabauke Müller: