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Im Oktober 2017 warst du an der ZHdK und hast den MA-Rhythmik Studierenden von deinen Projekten in China und Südkorea berichtet. Wo bist du gerade und woran arbeitest du?

Gerade bin ich von Seoul zurück in Beijing für ein paar Monate. Zum einen forsche ich an der Nationalen Akademie für Chinesische Theaterkunst, wo ich zwischen 2012-2016 Peking Oper Performance studiert habe, im Bereich einer kulturübergreifenden Bewegungssprache. Zusammen mit meinem koreanischen Bühnenpartner arbeite ich an einem Stück. Wir spielen mit traditionellem Bewegungsmaterial aus China und Korea, welches wir weiterentwickeln, verfremden und in einen neuen Kontext setzen.

Zum anderen bin ich als Freelancerin für die Deutsche Musikakademie tätig, welche voraussichtlich im September dieses Jahres die erste Schule in Beijing eröffnen wird. Ich coache chinesische Musiklehrpersonen, die in Zukunft an der Deutschen Musikakademie unterrichten werden. Hier geht es vor allem um die Vermittlung musikpädagogischer Grundlagen und deren praktische Umsetzung. Daneben gleisen wir erste Kurse in Musikalischer Früherziehung in lokalen Kindergärten auf. Diese Aufgabe entpuppt sich als hochspannend und herausfordernd.

Wodurch unterscheidet sich der Unterricht bzw. das Unterrichten in China zu dem in der Schweiz?

MFE Klasse in einem Kindergarten in Beijing (2018)

Das chinesische Bildungssystem ist ganz anders angelegt als das europäische, darum muss auch der Unterricht mit den Kindern an einem anderen Punkt ansetzen. Dazu kommt, dass musikpädagogische Konzepte in China noch wenig bekannt sind. Wir betreten sozusagen Neuland mit diesen Kursen. 

Eine der grössten Herausforderungen besteht darin, den Eltern den ‘Nutzen’ des Angebotes MFE nahe zu bringen. Das chinesische Bildungssystem setzt auf messbare Resultate (z.B. perfekte Technik). In der Musikalischen Früherziehung stehen hingegen entwicklungsbezogene Prozesse im Vordergrund, z.B. die Persönlichkeitsbildung, die Sozialkompetenz sowie das kreative Potential. Wie können die beiden Systeme, das europäische und das chinesische miteinander gepaart werden und voneinander einen optimalen Nutzen ziehen? Das ist die grosse Chance und Herausforderung dieses Projektes. So muss ich mir wieder ganz grundlegende Gedanken zu meinem Unterricht machen, diesmal in einem neuen und grösseren Kontext.

Du hast von einem Kurzstück erzählt, dass du mit deinem koreanischen Bühnenpartner erarbeitest. Darin verbindest du Elemente der Peking Oper, koreanisch traditionelles Bewegungsmaterial und rhythmische Ansätze. Wie klappt die Verknüpfung der verschiedenen Elemente? An welchem Punkt seid ihr?

«Singing bird», nach Aristophanes. Tournee mit der koreanischen Kompanie «Seoul Factory» im Sommer 2017 in Korea

Wir sind nochmals ganz eingetaucht in die Welt des traditionellen chinesischen Theaters, sozusagen auf Tiefseeexpedition. Wir suchen Unbekanntes, Faszinierendes, Komisches, Schönes und lassen uns dadurch inspirieren, erstmal ohne verstehen zu wollen. Danach recherchieren wir über die Bedeutung und Herkunft von bestimmten Bewegungen und analysieren wie sie heute auf der Bühne gebraucht werden. Die junge Generation von ProfessorInnen und Theaterschaffenden, welche nach der Zeit von Mao aufgewachsen ist, weiss kaum mehr Bescheid über Bedeutung und Herkunft dieser Bewegungen. So suchen wir das Gespräch mit den älteren ProfessorInnen und KünstlerInnen. Die Geschichten und Episoden, die sie erzählen, geben einen einmaligen Einblick in die Kultur Chinas und sind gleichzeitig Inspirationsquelle für unsere kreativen Prozesse.

Der rhythmische Ansatz ist für mich sozusagen die Herangehensweise, der Kompass, der Wegweiser. Rhythmik, beziehungsweise der rhythmische Ansatz, ist das ideale Tool, alle möglichen Disziplinen kreativ miteinander zu paaren und in eine geeignete Form zu bringen.

Voraussichtlich werden wir Ende Juli am Theater der Nationalen Akademie für Chinesische Theaterkunst eine Art ‘Work-in-progress’ Show machen, wo wir unser Stück zeigen, so wie es zu dem Zeitpunkt sein wird.

Proben mit dem koreanischen Bühnenpartner an der nationalen Akademie für chinesische Theater Kunst (2018)

Inwieweit hat dich dein Rhythmik-Studium an der ZHdK auf deine Arbeit als freischaffende Künstlerin vorbereitet?

Das Studium der Rhythmik ist sehr vielfältig. Neben Grundlagen aus Musik, Bewegung, Tanz und Theater lässt es Raum, eigene Talente zu explorieren und weiterzuentwickeln. Die Arbeit am persönlichen Profil war für mich sehr wertvoll und die Suche nach dem, was mich in der ganzen Vielfalt im jetztigen Moment am meisten bewegt… Und dann gibt es eigentlich nur noch den Weg vorwärts.

Ich hatte das Glück, während des Studiums vielen Menschen, seien es ProfessorInnen, Dozierenden oder Studierenden begegnen zu dürfen, die mich inspiriert und darin bestärkt haben, meinen eigenen Weg zu gehen. 

Im Rahmen des ZHdK-Austauschprogrammes Connecting Spaces hast du die Peking Oper kennen gelernt. Was hat dich daran so sehr fasziniert, dass du nach dem Studium nach China gegangen bist, um Peking Oper zu studieren?

Am meisten fasziniert hat mich die Andersartigkeit des traditionellen Chinesischen Theaters, die archaischen Züge, die virtuosen Bewegungen und die Form der Peking Oper als Gesamtkunstwerk, welches Schauspiel, Tanz, Musik, Gesang und Akrobatik miteinander vereint.

Dieses Fremde, das nicht Verstehen und ‘nicht Einordnen können’ brachte und bringt mein System zu ganz neuen kreativen Ideen. So ist es eigentlich der Durst nach neuem kreativen Ausdruck, der mich nach China gebracht hat.

Warum hast du dich für die Rolle des Monkeyking entschieden?

Eine der ersten Peking Oper Aufführungen, die ich in China gesehen habe, war ein Ausschnitt aus dem Epos ‘Reise nach Westen’. Der Affenkönig, halb Mensch halb Affe, reist mit einem Schwein, einem Halbdämon und einem Mönch vom heutigen Indien bis nach China, um die heiligen Schriften Buddhas nach Hause zu bringen. Diese Geschichte fand ich schon in der Anlage urkomisch. Der Affenkönig war lustig. Er beeindruckte mich durch seine virtuosen Bewegungen, durch seine schelmischen Streiche, seinen Witz, Charme und seine Weisheit. Kurz entschlossen entschied ich mich, diese Rolle zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass SunWukong (so heisst der Affenkönig) traditionell nur von Männern gespielt wird.

Peking Oper wird nach Rollentypus studiert. Es gibt vier Grundtypen (Frau, Mann, Clown und bemalte Gesichter). Die Auswahl, bzw. Zuweisung der Rolle geschieht aufgrund der Körperkonstitution, der Stimmlage und von persönlichen Begabungen. Ein Rollentypus wird in der Regel ein ganzes Leben lang beibehalten.

Im Toni-Areal hast du Bewegungsabläufe und chinesische Schriftzeichen aus deinem Skizzenbuch präsentiert. Gibt es Zusammenhänge im Lernen einer fremden Sprache und der Aneignung fremden Bewegungsmaterials?

Auf jeden Fall. Während der ersten Zeit in China verfügte ich über keinerlei Sprachkennisse. Ich lernte Bewegungen in erster Linie über die Körperebene (Vor-/Nachmachen), über die äussere Form und die Gefühlsebene.

Die Sprache brachte dann eine weitere Ebene dazu, eine Abstrakte. Sie half mir, eine Bewegung oder einen Ablauf rational zu erfassen. Gleichzeitig gab mir die sprachliche Komponente Hintergrundwissen zu einer Bewegung oder sie regte meine Inspiration an. Im Vokabular der Peking Oper gibt es zum Beispiel viele Namen für Bewegungen, die aus der Natur stammen. Z.B. ‘Wolkenhand’, das ist eine Art Kreisbewegung, die ursprünglich aus dem TaiChi kommt, ‘Tigersprung’ wird die akrobatische Bewegung ‘das Rad’ genannt.

Gibt es Videos von dir als Affenkönig?

Aus dem Dokumentarfilm «365 Chinesische Träume», 3 minütiges Portrait zu meinem Studium als Sunwukong Affenkönig

«Expats in China train for Peking Opera», Ausschnitt aus einer unserer Trainingssessions an der nationalen Akademie für Chinesische Theater Kunst

Performance als SunWuKong Affenkönig in Beijing (2016)

Vielen Dank für das Interview!